Pornos, Nazis, Biller – Bücher auf dem Index

Veröffentlicht am 31.01.2008 | Von Hendrik Werner , Quelle: dpa

Tief in den Giftschränken deutscher Universitätsbibliotheken lagern immer noch Tausende verbotener Werke. Neben Hitlers Hassgedanken bleiben auch erotische Bücher unter Verschluss, die deutsche Sittenwächter als “jugendgefährdend” einstufen. Besonders alte Chinesen schrieben gerne deftig.

Es gibt ein treffliches Wort für heikle Schriftstücke: Es heißt Remota. Remota bezeichnet zum einen das thematisch Abseitige, das Randständige eines literarischen Werks, zum anderen die räumliche Entlegenheit seiner Aufbewahrung – auf der fließenden Grenze zwischen Ausgrenzung, Aussonderung und Entsorgung.

Für die Popkultur hat Umberto Eco den Remota-Topos sinnfällig aufbereitet: In dem Roman „Der Name der Rose“ bestreicht der Mönch Jorge von Burgos, jede einzelne Seite eines Aristoteles-Buches mit Gift. Die Ironie dieser fiktiven Geschichte besteht zum einen darin, dass Umberto Eco die Phrase vom literarischen Giftschrank wörtlich nimmt. Zum anderen liegt sie darin, dass Burgos zwar um die potenzielle Sprengkraft des Textes weiß, aber zu bibliophil ist, um ihn zu vernichten.

Auch “Der Name der Rose” steht auf dem Index

So wie Apotheken, chemische Laboratorien und Schulen hierzulande gesetzlich dazu verpflichtet sind, als Gift eingestufte Substanzen unter Verschluss zu halten, gab es zu allen Zeiten auch auf dem Schauplatz der Schrift Objekte, die als so gefährlich eingestuft wurden, dass man sie dem Zugriff der Öffentlichkeit zu entziehen versuchte.


Das wirkungsmächtigste Leseverbot unseres Kulturkreises formulierte der von der römischen Inquisition im 16. Jahrhundert initiierte Index Librorum Prohibitorum, ein Verzeichnis der Katholiken bei Strafe der Exkommunikation untersagten Bücher. Bei ihrer Abschaffung im Jahre 1966 verzeichnete die Liste etwa 6000 Werke – von Giordano Bruno über Luther und Marx bis zu Heine und Simone de Beauvoir.


Heute gibt es nur und immerhin noch so etwas wie einen inoffiziellen, zumal internen Index: Zu den von der sittenstrengen Personalprälatur Opus Dei verfemten Schriften zählt neben Dan Browns „Sakrileg“ auch Ecos „Der Name der Rose“.

“American Psycho” wurde erst 2001 freigegeben

Doch auch weltliche Zensurmechanismen greifen – subtil, aber effizient. So gibt es noch heute Museen, Archive und Bibliotheken, die gewissermaßen als giftig klassifizierte Dokumente wegsperren. Zu diesen Remota gehören zeitlich gesperrte Akten ebenso wie literarische Werke, die aus politischen oder moralischen Gründen indiziert und für eine bestimmte Frist (in der Regel 25 Jahre) bis zur neuerlichen Prüfung weggeschlossen werden. Darunter fallen zumal Gewalt verherrlichende und sexuell anstößige Texte.

Das Ächtungsprocedere unterliegt der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien, die beim Familienministerium angesiedelt ist. Zu den spektakulärsten Fällen dieser verhohlenen Zensur, die es laut Grundgesetz nicht geben darf, zählen erotische Klassiker wie de Sades „Philosophie im Boudoir“, die fiktive Autobiografie der Dirne Mutzenbacher und Henry Millers „Opus pistorum“.

Bret Easton Ellis’ brutale Psychopathen-Fiction „American Psycho“, die 1995 indiziert worden war, wurde erst im Februar 2001 freigegeben; im Sommer 2001 wurde Leopold Sacher-Masochs poetisches SM-Traktat „Venus im Pelz“ vom Index genommen, auf dem sich wiederum bald das Kinderbuch „Wo bitte geht’s zu Gott? fragte das kleine Ferkel“ wiederfinden könnte, dem das Familienministerium Antisemitismus vorwirft. ( Zum WELT ONLINE-Bericht geht es hier. )

Max Biller wandert ins Sonderzimmer für Verbotenes

Für die Dauer ihrer Indizierung lagert solche Literatur in separierten Bereichen von Universitätsbibliotheken. Vor allem der Schlüpfrigkeit geziehene Literatur oder politisch bedenkliche Werke, zumal aus der Zeit des Nationalsozialismus, werden dort gehütet – und nur zu Forschungszwecken (und auch das nur befristet) herausgegeben. Beinahe jede Akademie hat Remota, „Weggeschafftes“, in ihren Beständen.

An der Unibibliothek Kiel beläuft sich die Zahl der separierten Bücher gerade mal auf ein Dutzend, mit dem man nicht einmal ein Regalbrett füllen kann. „Wir schließen vor allem nationalsozialistische Literatur weg, aber auch Werke, die aufgrund eines Gerichtsbeschluss nicht weiter verbreitet werden dürfen“, sagt Direktorin Else Wischermann. „Diese Bücher werden nur zur wissenschaftlichen Forschung genutzt.“

Ungleich mehr Werke hält die Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek unter Verschluss. Im 14. Stock ihres Bücherturms sind etwa 400 Remota in einem Raum interniert. Schon bei der Planung der Bibliothek in den Fünfzigern sei das Zimmer für diesen Zweck vorgesehen worden, sagt Dieter Ludwig, stellvertretender Leiter der Benutzerabteilung. Zuwachs gebe es heute kaum noch; allenfalls bei entsprechenden Gerichtsurteilen wie im Fall von Maxim Billers „Esra“.

Jugendgefährdend: Sexszenen aus der Ming-Dynastie

In den indizierungsintensiven Siebzigern dagegen wurde der Raum sukzessiv zu einem Sammelsurium mit Kuriositätenwert. So stehen antisemitische Schriften einträchtig neben Erotica, polizeiliche Fahndungsblättern der Nachkriegszeit neben NS-Kriegsliteratur, die von den Alliierten mit einem „S“ wie „separiert“ gekennzeichnet wurde.

Doch auch literarisch hochwertige Ware wurde in den Turm verbannt. Etwa „Jinpingmei“, ein klassischer Roman aus der Ming-Zeit. Die deftigen Sexszenen des Bandes hatten die Sittenwächter, beglaubigt durch das 1953 verabschiedete „Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften“, ebenso auf den Plan gerufen wie die Ausgaben des Herrenmagazins „St. Pauli-Nachrichten“ und die 1958 erschienene Aufklärungsschrift „Der homosexuelle Mann in der Welt“ des deutschen Sexualforschers Hans Giese.

Mittlerweile ist der literarische Giftschrank mehr ein Objekt kulturhistorischen Interesses als ein gängiges Instrument zur Aussonderung. Und doch gibt es einige Büchereien, die den Aussonderungsbrauch noch immer pflegen, ohne dass man sie nostalgischer Gefühle zeihen könnte. So verfügt die Bayerische Staatsbibliothek noch immer über sechs Remota-Fonds, die, mit nur einer Ausnahme, erst im 20. Jahrhundert angelegt wurden. Zu etwa gleichen Teilen handelt es sich dabei um aus politischen und sexuellen Gründen ausgelagerte Literatur. Die meisten der Bücher dürfen nicht mit nach Hause genommen, sondern nur im Lesesaal studiert werden – weniger wegen ihres Inhalts, sondern vielmehr wegen ihres Raritätenstatus.

Eine Kiste voller Hitler-Bücher

Das gilt auch für jene bis an den Rand mit „Mein Kampf“-Exemplaren gefüllte Kiste, die dem Giftarsenal der Bayerischen Staatsbibliothek vor einigen Jahren vermacht wurde. Graduelle Unterschiede in der Aussonderung werden nur bei der Klassifizierung gemacht; einen Meta-Remota-Status für Adolf Hitler gibt es nicht.

Der Historiker Stephan Kellner, der in München die Ausstellung „Remota – Ein Blick in den Giftschrank“ verantwortet hat, begreift die ungebrochene Aussonderung von Büchern, die längst wieder in den allgemeinen Bestand hätten eingespeist werden können, als zeitdokumentarischen Ansatz und pädagogische Geste der Musealisierung. Mithin als Mittel, des steten Wandels literarischer Freizügigkeit eingedenk zu bleiben, wie er gerade im 20. Jahrhundert zu beobachten war.

Im Internet werden Bücherverbote umgangen

So folgten auf einen relativ liberalen Umgang mit problematischer Literatur in der Weimarer Republik, die nur ein ziemlich lax gefasstes „Gesetz zur Bewahrung der Jugend vor Schund- und Schmutzschriften“ (1926) kannte, gleich zwei Hoch-Zeiten angewandter Aussonderung: Zum einen die barbarische Entsorgung von den Nazis missliebiger Literatur – am 10. Mai jährt sich zum 75. Mal das Fanal Bücherverbrennung. Zum anderen die hohe Verbotsrate in der jungen Bundesrepublik, nachdem das „Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften“ in Kraft getreten war.

Dieses Gesetz mag heute weniger Titel treffen und weniger wirkungsmächtig sein als in seinen frühen Jahren. Dies auch deshalb, weil in der Internet-Ära die Ahndung der Verbreitung von indiziertem Text- und vor allem Bildmaterial schwieriger geworden ist.

Liste verbotener Medien in der BRD