EU plant Durchleuchtung aller privaten Chats – mit automatischer Anzeige
Von Max Roland
Die Europäische Union will Smartphone-Hersteller und Chat-Anbieter verpflichten, Unterhaltungen von Nutzern auf Messengerdiensten wie WhatsApp und Telegram zu durchleuchten. Angeblich gilt der Vorstoß der Bekämpfung des Kindesmissbrauchs. Datenschützer protestieren.
DIe EU-Kommission arbeitet an einer Richtlinie, die einschlägige Dienstleister zur Kontrolle von Chats zwingen soll. In einem guten Monat will Brüssel die Initiative auf den Weg bringen. WhatsApp, Telegram und ähnliche Anbieter werden nicht nur ihre Verschlüsselung aufweichen müssen – Smartphonehersteller werden per Gesetz dazu gezwungen, die Geräte ihrer Kunden verdachtsunabhängig zu durchleuchten. Die orwellsche Dimension des Vorhabens scheint zunächst schwer greifbar – doch die Gefahr für Privatsphäre und Grundrechte ist akut.
Bereits vor Wochen schlugen Abgeordnete des Europäischen Parlaments Alarm. Eine anlasslose generelle Kontrolle der Online-Aktivitäten aller Menschen „für den Fall der Fälle“ verursache verheerenden Kollateralschaden: „Sie missachtet den Kern des Grundrechts auf vertrauliche Kommunikation und ist daher weder notwendig noch verhältnismäßig“, erklärten mehrere Parlamentarier in einem Schreiben an die Kommission.
Geht es nach der Kommission, sollen bald schon die Geräte und Chats hunderter Millionen Bürger gescannt werden – standardisiert, automatisch und verdachtsunabhängig. Das grundgesetzlich festgeschriebene Briefgeheimnis gilt dann nicht mehr für den digitalen Raum, in dem die EU jetzt jeden „Brief“ aufreißen lassen will.
Zeit zum Lesen „Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen Die Kontrolle soll automatisiert durchgeführt werden – eine Künstliche Intelligenz wird jeden Chat-Inhalt scannen und im Zweifel automatisch eine Anzeige an die zuständige Behörde stellen. Ein falsch erkanntes Urlaubsfoto, eine falsch gelesene Chat-Nachricht – und das BKA wird involviert. Bedenklich genug wäre diese Automatisierung von Massenüberwachung ohnehin schon. Die KI-Softwares sind jedoch auch höchst fehleranfällig – bis zu 80 Prozent kann die Fehlerquote betragen. Gleichzeitig ist seit Monaten die Manipulationsanfälligkeit der Verfahren bekannt: So konnten schon leichte Veränderungen am kryptographischen System strafbare Inhalte vor der KI verschleiern – und nicht strafbare Inhalte für die KI als strafbar erscheinen lassen. Der kriminalistische Nutzen des Vorhabens dürfte also gering sein – auch weil Studien bis heute keine Effektivität von Massenüberwachung belegen.
Trotzdem wollen sich die EU-Politiker nicht beirren lassen, eine relevante Grenze der elementaren Privatsphäre einzureißen. Der Weg zur Ausweitung der anlasslosen Überwachung ist nicht weit – und der weiteren Aushöhlung digitaler Freiheitsrechte wird Tür und Tor geöffnet. Die Rufe, die Kontrollen auch auf Inhalte wie „Hassrede“ oder „Fehlinformationen“ auszuweiten, könnten dann bald folgen.
Quelle: Tichys Einblick, 01.11.2021